Die Archivbestände der Orte der Verwaltungsgemeinschaft Dingelstädt im Kreisarchiv des Landkreises Eichsfeld in Heiligenstadt

Ein Beitrag zum Tag der Archive 2001 von Ewald Holbein

Neben der Archivierung der aktuell anfallenden Akten der Kreisverwaltung hat das Kreisarchiv auch die Aufgabe, die aus den vorausgehenden Zeitepochen übernommenen Archivbestände zu bewahren und sie für die Erforschung der Regionalgeschichte zugänglich zu machen.
Die Bestände des Kreisarchivs an historischen Urkunden und Akten umfassen einen Zeitraum von etwa 550 Jahren, wobei Urkunden und Schriftstücke aus der Mainzer Zeit vor 1802 jedoch zahlenmäßig nur einen geringen Umfang ausmachen. Besser belegt ist die Zeit seit der Bildung der Kreise Worbis, Heiligenstadt und Mühlhausen im Jahre 1816. Seit diesem Zeitpunkt – bis zum Jahre 1945 – gehörten Dingelstädt, Kreuzebra und Kefferhausen zum Kreis Heiligenstadt, Kallmerode zum Kreis Worbis, Silberhausen und Helmsdorf zum Kreis Mühlhausen.
Die Schriftstücke, die in den Kreisverwaltungen der Kreise Heiligenstadt und Worbis angefallen sind, wurden 1994 – nach der Bildung des Eichsfeldkreises – im Kreisarchiv des Landkreises Eichsfeld in Heiligenstadt vereinigt.
Daneben wurden schon seit den 50er Jahren des 20. Jahrhunderts die in den Gemeinden angefallenen Akten an die Kreisarchive abgegeben, so dass hier ein umfangreicher Bestand an Gemeindeakten entstanden ist.
Seit 1994 habe ich den Bestand der Gemeinden der Verwaltungsgemeinschaft Dingelstädt im Kreisarchiv gesichtet und ein detailliertes Verzeichnis dieser Bestände erarbeitet und in einem Computerprogramm gespeichert, so dass man bei entsprechenden Recherchen schnell entsprechende Unterlagen im Bestand finden kann. Insgesamt ergibt sich dabei folgendes Bild:

Gemeinde: Anzahl der Akten A-Bestand (bis 1945); B-Bestand (1945-1990) Dingelstädt: 2.976;  1.188; Helmsdorf: 707; 144; Kallmerode: 446; 210; Kefferhausen: 18; 192; Kreuzebra: 264; 25; Silberhausen: 252; 214.
Dabei ist der Umfang der einzelnen Akten sehr unterschiedlich. Es kann sich z.B. um ein einziges Schriftstück handeln; in der Regel beinhaltet eine Akte aber immer einen Vorgang oder einen Sachverhalt, der auch aus mehreren Ordnern bestehen kann. Das sagt aber noch nichts über die historische Bedeutung dieser Akten aus. So besteht z.B. ein großer Teil der Akten aus der DDR-Zeit aus Kassen- und Buchungsbelegen, die nur sehr eingeschränkt für die regionale Forschung aussagekräftig sind.
In allen Ortsbeständen fällt auf, dass mehr oder weniger große Lücken bestehen. Das wird in den wenigsten Fällen durch Feuer oder andere Unglücksfälle zu erklären sein. Das Interesse der Schulzen bzw. Gemeindeeinehmer, die in der Regel die Gemeindeakten führten, an übernommenen Schriftstücken und ihrer ordnungsgemäßen Aufbewahrung ist sicherlich unterschiedlich gewesen. Auch bei der Übergabe der Geschäfte wird sicherlich oftmals einiges verlorengegangen sein. Die Akten wurden in der Regel in den Dörfern im Hause des jeweiligen Amtsinhabers aufbewahrt. Auch den Altpapier-Sammelaktionen während der Zeit des Nationalsozialismus und der DDR wird einiges zum Opfer gefallen sein. Das läßt sich z.B. an Hand eines Aussonderungsprotokolls im Bestand der Stadt Dingelstädt für das Jahr 1938 belegen.
Im folgenden werde ich auf einige besonders interessante Akten in den einzelnen Gemeinden eingehen.

Der Bestand Dingelstädt ist mit insgesamt 4.164 Akten der größte Gemeindebestand im Kreisarchiv überhaupt. In der ältesten Urkunde in diesem Bestand geht es um einen Grenzstreit zwischen Helmsdorf und Dingelstädt im Bereich der Wolkramshäuser Flur, der am 10. Dezember 1605 beigelegt wurde. Viele Urkunden betreffen den Verkauf oder die Verpachtung von Grundstücken, so z.B. eine Urkunde vom Verkauf des Bodungschen Lehn- und Erbgutes für 200 Thlr. an die Gemeinde Dingelstädt vom 7. Oktober 1738. Auch die Kontrakte zum Bau und zur Instandhaltung von öffentlichen Gebäuden (Kirche, Schule, Brauhaus, Gemeindeschenke, Spritzenhaus u.a.) findet man in den Akten.
Besonders interessant sind die jährlich aufgestellten Gemeinderechnungen, die ab 1670 fast für jedes Jahr vorhanden sind. Neben dem Verzeichnis des Gemeindebesitzes, Angaben zu den verwendeten Maßen, Gewichten und Münzen, den Namen der Schulzen, Vormünder, Schöppen und Einnehmer ist in diesen Rechnungen natürlich auch jede öffentliche Ausgabe verzeichnet. Das Baugeschehen, die Schulverhältnisse und sonstige Ereignisse, wie z.B. Mißernten, Seuchen und Einquartierungen kann man an Hand dieser Angaben sehr gut verfolgen. In den Steuerhebelisten, die ebenfalls Bestandteil der Gemeinderechnungen sind, sind die Namen der Steuerpflichtigen verzeichnet, so dass man auch in der Familienforschung zu neuen Erkenntnissen kommen kann. Dabei stellt die Entschlüsselung der Handschriften mitunter ein Problem dar, das man aber bei entsprechenden Vorkenntnissen mit einiger Übung, nachdem man sich „eingelesen“ hat, in den meisten Fällen lösen kann.
Die Bedeutung des Handwerks und der Industrieansiedlungen, der Niedergang der Weberei und auch die Entwicklung des Schulwesens läßt sich an Hand der Akten gut verfolgen. Besonders gut ist im Bestand Dingelstädt auch die Zeit des Nationalsozialismus belegt. Umfangreiche Akten befassen sich z.B. mit dem „Kirchenkampf“, mit der Auflösung des Lyzeums im Institut und mit der Gleichschaltung der Vereine.
Im B-Bestand findet man zahlreiches Material aus der Zeit der russischen Besetzung bis 1947, der Eingliederung der Flüchtlinge und Vertriebenen, der „Sicherung von Vermögenswerten“ bei Republikflüchtigen in den 50er Jahren und der „sozialistischen Umgestaltung der Landwirtschaft“ 1960. Natürlich findet sich die „Agitation und Propaganda“ dieser Zeit auch in erheblichen Umfang in den Akten wieder. Das geht von der Volkskongreß-Bewegung der Nachkriegszeit, über die Nationale Front, die Bildung von Haus- und Hofgemeinschaften bis hin zur Jugendweihe. Aber auch die vielen Probleme und Sorgen, wie Versorgungsfragen, die Bereitstellung ausreichenden Wohnraumes und „Kaderfragen“ finden sich in diesen Unterlagen wieder.
Besonders interessant und auch umfangreich ist der A-Bestand der Gemeinde Helmsdorf. Die Gemeinderechnungen sind ab dem Jahre 1689 fast komplett vorhanden und meistens auch gut lesbar. Um zu verdeutlichen, was man alles aus einer solchen Gemeinderechnung entnehmen kann, hier einige Auszüge aus der Rechnung, die der Vorsteher Nikolaus Weidemann für das Rechnungsjahr vom 1.10.1792 bis zum 30.9.1793 aufstellte.
Neben umfangreichen Angaben über Gemeindehäuser, Äcker, Wiesen, Huthplätze,Triften, Kapitalien und Gerechtigkeiten gibt er folgende Einwohnerstatistik: insg. 534 Einwohner, davon je 105 Ehemänner u. -weiber, 145 ledige Söhne, 149 Jungfern und Jungfrauen, 10 Wittmänner, 20 Wittweiber; geboren wurden 15 Söhne und 17 Töchter, gestorben sind 2 Ehemänner, 3 Eheweiber, 8 ledige Söhne, 13 Jungfern und Jungfrauen, 2 Wittmänner, 1 Wittweib, copuliert (verheiratet) wurden 9 Paare.
Folgende Umrechnungsverhältnisse wurden in der Rechnung angewandt: 1 guter Groschen zu 12 Pfennigen, 1 Reichsthaler zu 24 guten Groschen; 1 Malter hält 6 Scheffel, 1 Scheffel 4 Metzen, die Metze 4 Köppe; 16 Fuß sind eine Ruthe, 120 Quadratruthen soll ein Acker halten, dann werden 30 Acker zu einer Hufe gerechnet. Im Dorf gibt es 53 Gerechtigkeitshäuser, 36 Einmietlingshäuser, 63 Hufen 15 ½ Acker Landes und 5 Mahlgänge. Die Gemeinde hat zu den für 1793 bewilligten ordinären Steuern und Landesunkosten einen Anteil von 211 Rthlr. 23 ggr. 4 Pf. zu bestreiten, desgleichen an Extrasteuergeldern 32 Rthlr. 3 ggr. und an Chausseebaugeldern 54 Rthlr. 15 ggr. 10 4/5 Pfennige. „Ingleichen zu denen sonst in Natura von den Unterthanen geleisteten, nunmehro aber mit Gelde zu bezahlenden Spann- und Handdienste für hiesieges hl. Amt Gleichenstein zusammen 93 Rthlr. 13 ggr. 8 4/5 Pf.“
An Hand der Ausgaben kann man z.B. folgende Ereignisse nachweisen: Pfarrer Johann Friedrich Pazing ist am 21.6.1792 verstorben, sein Nachfolger Joseph Klingebiel wurde am 4.12.1792 mit 12 Pferden und 4 Wagen in Neuendorf abgeholt. – Dass mit der Jahreszahl 1727 bezeichnete Wetterkreuz wurde am 5.8.1792 durch einen Donnerschlag völlig zerschmettert und es wurde daher ein anderes am 3.5.1793 aufgerichtet. – Die Prozession nach dem Annaberg, die nach einem verheerenden Hagelwetter am 2.8.1719 gelobt wurde, wurde durchgeführt. Schultheiß in diesem Jahr war Christoph Nöring, als Schulmeister wird Georg Wilhelm Siebert genannt. Insgesamt wurden 516 Rthlr. 14 ggr. 5 1/10 Pf. eingenommen, die Ausgaben betrugen 464 Rthlr. 2 ggr. 1 4/5 Pf.
Daneben gibt es auch umfangreiche Akten zu den Überschwemmungen im Unstruttal, die sich ja in Helmsdorf immer besonders verheerend auswirkten, so z.B. 1852 und 1906. Die Bedeutung der Mühlen für die beginnende Industriealisierung im 19. Jahrhundert ist ebenfalls durch umfangreiche Schriftstücke belegt, ebenso die Separation der Feldflur.
Weniger umfangreich und auch sehr lückenhaft ist der B-Bestand. Neben Haushalts- und Kassenunterlagen sind vor allem Akten zur Landwirtschaft vorhanden.
Beim Bestand der Gemeinde Kallmerode fällt der besonders große Anteil von Akten zur Schulgeschichte auf. Neben Zeugnisheften, Schul-Versäumnislisten und deren Folgen, findet man auch Verordnungen zum Schulwesen, Revisionsprotokolle, Analysen und anderes mehr. In den Unterlagen aus der DDR-Zeit nehmen Landwirtschaftsfragen, die Einrichtung der Sonderschule, die Protokolle des Gemeinderates, Haushalts- und Finanzangelegenheiten und Fragen der Inneren Sicherheit einen größeren Platz ein.
Der A-Bestand der Gemeinde Kefferhausen ist mit nur 17 Akten sehr gering. Der Rezeß vom 6.5.1854 zur Ablösung von Grundrechten (mit einer Liste der Grundstückseigentümer) ist dabei die älteste Urkunde in diesem Bestand. Sehr interessant erscheinen mir die Unterlagen, die zur Bildung der LPG vorhanden sind. Hier wäre eine genauere Auswertung sicher lohnend. Auch aus den Akten der Heinrich Vollmer KG und der Umwandlung in den VEB Kleintransformatorenbau im Jahre 1972 kann man viel über die damaligen Verhältnisse in der DDR entnehmen.
Zwei auf Leder geschriebene Urkunden des Mainzer Erzbischofs und Kurfürsten Johann Schweickardt von 1609 und 1614 – die allerdings stark beschädigt und nur schwer zu entziffern sind – sind die ältesten Schriftstücke des sehr umfangreichen A-Bestandes von Kreuzebra. Es handelt sich dabei um die Bestätigung von Kaufverträgen.
Neben umfangreichen Akten zum Schulwesen, zur Seperation, zu Bauangelegenheiten und zur Verpachtung des Gemeindebackhauses und der -schenke fallen dabei besonders viele Strafakten auf, die vor allem Diebstahl, Bettelei und Paßvergehen der vielen Wanderarbeiter aus der Gemeinde betreffen und ein bezeichnendes Licht auf die soziale Lage werfen. In einem Bericht vom Jahre 1904 wird angegeben, dass von 1.100 Einwohnern nur 806 ortsanwesend sind. Jährlich gehen etwa 50 Landarbeiter und 100 ledige Mädchen vor allem in die Magdeburger Gegend um dort Arbeit und Verdienst zu haben. Über 100 Maurer, Dachdecker und Zimmerer arbeiten über 9 Monate auswärts. Viele jugendliche Handwerker haben sich in Duisburg, Dortmund, Gelsenkirchen und Hannover niedergelassen, weil sie hier keinen Verdienst haben. Im Dorf gibt es 2 Hausierer, 2 Leineweber und 20 Stoffweber die über 80 Personen ernähren müssen. 5 Bauern auf eigener Scholle, die Tag und Nacht arbeiten, kommen nicht vorran.
Die Namensänderung von Kreuzeber in Kreuzebra 1929 ist ebenfalls gut belegt. Zur NS-Zeit ist im gesamten Bestand nicht eine einzige Urkunde vorhanden und auch die DDR-Zeit ist sehr spärlich vertreten.

Aus länger zurückliegenden Zeiten ist im Bestand Silberhausen nur wenig vorhanden. Man findet einiges zum Schulbau, zur Separation, zum Straßen- und Wegebau und zu privaten Bauanträgen. Besonders aufschlussreich ist der Bestand aus der Zeit des Dritten Reiches in Bezug auf Ostarbeiter, Kriegsgefangene und die Erfassung der Jugendlichen zum Wehrdienst.
Im B-Bestand ist die Nachkriegszeit im Bezug auf die Eingliederung der Vertriebenen und Flüchtlinge sehr gut dokumentiert. Auch zu dem Problemen bei der Pflichtablieferung landwirtschaftlicher Erzeugnisse findet man umfangreiches Material.

Wer genauere Informationen zu den Beständen haben möchte. kann sich gern an mich wenden.