Dingelstädt vor 150 Jahren

 

Dingelstädt zur Zeit der Verleihung des Stadtrechtes vor 150 Jahren

von Ewald Holbein

Am 14.2.1859 wurde dem Marktflecken Dingelstädt durch Wilhelm, Prinz von Preußen – den späteren Kaiser Wilhelm I. – das Stadtrecht verliehen. Der Antrag war bereits am 14.4.1856 durch den Gemeinderat gestellt worden. Durch den Neubau der katholischen Pfarrkirche „St. Gertrudis“ und den für damalige Verhältnisse großzügigen Neubau der Schule in den Jahren 1852 bis 1855 waren in Dingelstädt repräsentative öffentliche Gebäude geschaffen worden. Mit dem Ankauf des Weiß’schen Fabrikgrundstückes (heute „Deutsches Haus“ und „Altes Rathaus“) an der Mühlhäuser Chaussee im Jahre 1859 wurden auch für das Rathaus und die seit 1830 in Dingelstädt eingerichtete Gerichtskommission bessere räumliche Verhältnisse geschaffen.

Hauptgrund für diesen Antrag aber war die wirtschaftliche Entwicklung – und damit verbunden – auch die Entwicklung der Einwohnerzahlen Dingelstädts. Die im Jahre 1812 durchgeführte Volkszählung im damaligen Königreich Westfalen ergab für Dingelstädt 1.920 Einwohner. Bei der im Jahre 1849 durchgeführten Zählung wurden 3.131 Einwohner ermittelt. In nicht einmal 40 Jahren war die Bevölkerung um 63 % angewachsen. Im gleichen Zeitraum nahm die Bevölkerung des gesamten Kreises Heiligenstadt um 43 % zu.

Die im „Dingelstädter Wochenblatt“ Nr. 3 vom 19. Januar 1850 und Nr. 5 vom 2. Februar 1850 veröffentlichte Statistik der Zählung vom Dezember 1849 gibt einen interessanten Einblick in die Vielfältigkeit des Dingelstädter Handwerks, des Handels und der dominierenden Textilindustrie. In den Kämmereien, Spinnereien und Webereien waren laut dieser Aufstellung 3448 Menschen beschäftigt, die meisten davon sicherlich in Heimarbeit. Dazu kommen noch die in dieser Übersicht unter dem Handwerk aufgeführten Arbeiter in den Färbereien, Textildruckereien, Walkereien und anderen Textilausrüstungsbetrieben. Auch die in der Statistik aufgeführten 8 Blatt- und Geschirrmacher (Webeblattbinder) lebten letzendlich auch von der Textilindustrie. Aber auch mit der Landwirtschaft beschäftigten sich noch viele Einwohner.

Im Folgenden der Wortlaut des Statistischen Berichtes aus dem „Dingelstädter Wochenblatt“ im Jahre 1850:

 

Amtliche Bekanntmachung:

Die Zählung der Gebäude, der Einwohner und des Viehes, ist Behufs Aufstellung der statistischen Tabelle vom 5ten bis 7ten December v.J. in hiesiger Gemeinde von Neuem geschehen und hat folgendes Resultat ergeben.

 

I. Gebäude:

Der hiesige Ort enthält 2 Kirchen, 1 Kapelle, 2 Schulhäuser, 1 Rathaus, 5 Gemeindehäuser zu verschiedenen Zwecken, 413 Privat-Wohnhäuser, 11 Mühlen und Fabrikgebäude, 547 Ställe, Scheunen und Schoppen und haben sich nur die beiden letztern seit 1846 resp. um 1 und 103 vermehrt.

 

II. Bevölkerung:

Civil-Einwohner sind überhaupt 3131 in 708 Familien, mithin 17 Einwohner und 27 Familien mehr als 1846.

Davon sind Kinder unter 14 Jahren 569, von 15 bis 16 Jahren 64, über 16 Jahren 900, und überhaupt männlichen Geschlechts 1533, weiblichen Geschlechts 1598. In der Ehe leben 523 Männer und 511 Frauen; in getrennter Ehe 2 Männer und 1 Frau, Wittwer und Wittwen sind 162. Blinde, 2 männliche Personen im Alter über 30 Jahren und Taubstumme 1 männliche und 1 weibliche Person im Alter vom 5ten bis 15 Jahren.

Den Religionsverhältnissen nach sind 3086 Katholiken und 45 evangelische Christen.

III. Viehstand:

Der Viehstand besteht in 17 Füllen bis zum vollendeten 3ten Jahre, 63 Pferden vom 4ten bis 10 Jahre und 104 Pferden über 10 Jahr alt, 1 Esel, 2 Bullen, 9 Ochsen, 323 Kühen, 68 Stück Jungvieh, 955 Schaafen, 222 Ziegen und 601 Schweinen, so daß sich gegen 1846 die Füllen um 6, die Pferde um 4, die Ochsen um 1, die Kühe um 38, die Schaafe um 43, die Ziegen um 97 und die Schweine um 365 vermehrt haben.

Dingelstädt, den 15. Januar 1850.   Das Schulzenamt.

 

 

Durch Aufstellung der Gewerbetabellen der mechanischen Künstler und Handwerker sowie der Fabrikations-Anstalten und Fabrik-Unternehmungen der hiesigen Gemeinde pro 1849 hat sich folgendes Resultat herausgestellt:

 

A. Mechanische Künstler und Handwerker.

Deren sind hier vorhanden, und zwar:

12 Bäcker, 8 Fleischer, 3 Seifensieder und Lichtzieher, 2 Gerber und Lederarbeiter mit 1 Gehülfen, 19 Schuhmacher und Altflicker, 4 Handschuhmacher, 1 Mützenmacher, 10 Riemer und Sattler mit 1 Gehülfen, 1 Seiler, 8 Schneider und Corsettmacher mit 5 Gehülfen, 1 Putzmacherin mit 1 Gehülfin, 1 Haarkünstlerin mit 3 Gehülfinnen, 4 Färber, 4 Zimmergesellen, 8 Tischler mit 3 Gehülfen, 3 Rade- und Stellmacher mit 1 Gehülfen, 2 Groß- und Kleinböttcher, 2 Drechsler in Holz- und Horn, 9 Maurergesellen, 3 Ziegeldeckergesellen, 3 Glaser und Glasschleifer mit 1 Gehülfen, 2 Bilder- und Blumenmaler mit 1 Gehülfen, 1 Bildhauer und Formschneider, 4 Grob- und Hufschmiede mit 2 Gehülfen, 4 Schlosser und Scheerenschleifer mit 2 Gehülfen, 1 Gürtler, 1 Mühlenbauer und Mühlenflickarbeiter mit 1 Gehülfen, 8 Blatt- und Geschirrmacher, 1 Zinngießer, 1 Klempner in Blech und Zink mit 1 Gehülfen, 1 Buchbinder und Futteralmacher, 2 Barbiere mit 1 Gehülfen, 1 Verfertiger von Oblaten, 3 Auctionatoren, Agenten und Commissionaire, 1 Abdecker oder Wasenmeister, 1 Strumpfwirker, 17 Leinweber, 1 Türkischroth-Färberei, 1 Seidenfärberei, 4 Druckereien für Zeuge aller Art, 5 Wassermühlen mit 10 Gängen, 1 Oelmühle, 3 Walkmühlen, 2 Sägemühlen mit deutschen Sägen, 3 Mühlenwerke zu Maschinen-Spinnerei, 6 Appretur, Preß-, Scheer- und Walkanstalten wobei 25 Arbeiter beschäftigt werden und 3 Bierbrauereien.

 

B. Handels-Gewerbe

1 Getraidehandlung, 2 Wollhandlungen, 19 Gewürz-, Material- und Specereihändler, 5 Ausschnitthändler in Seide, Baumwolle und leinen Waaren mit 4 Gehülfen resp. Gehülfinnen, 3 Eisen-, Stahl-, Messing- und andere Materialwaarenhändler mit 1 Gehülfen, 7 Händler mit allen andern hier nicht genannten Artikel, 1 Pferde- und Viehhändler, 13 Victualienhändler und Höker, 10 Fracht-, Stadt- und Reise-Fuhrwerke mit 9 Gehülfen und 19 Pferden, 4 Gasthöfe für die gebildeten Stände, 5 Krüge und Ausspannungen für das Frachtfuhrwerk und die zu Markt kommenden Landleute, 4 Speisewirthe und Garköche, 7 Schankwirthe und Billardhalter, 15 Musikanten die gewerbsweise in Wirthshäusern und bei Gastereien spielen.

 

C. Fabrikations-Anstalten und Fabrik-Unternehmungen

83 gehende Webestühle für eigne Rechnung und Lohn in Baumwolle und Halbbaumwolle mit 3 Meister und 156 Gehülfen und Lehrlingen, 326 gehende Webestühle in Wolle und Halbwolle mit 26 Meister und 517 Gehülfen und Lehrlingen, 9 Anstalten für Maschinen-Spinnerei zu Streichgarn und Kammgarn mit 3690 Feinspindeln, wobei 22 männliche und 128 weibliche Personen über 14 Jahr beschäftigt werden, 6 Wollkämmerei-Anstalten mit 626 Arbeiter über 14 Jahr alt. Außerdem werden von 5 Fabrik-Inhabern überhaupt 1970 Handspinner beschäftigt.

 

D. Civilbeamte im Staatsdiensten.

a. bei der allgemeinen Landesverwaltung                      1

b. bei der Rechtsverwaltung                                         4

 

E. Communalbeamte, welche ohne andere gewerbliche Beschäftigung besoldete Aemter verrichten.

a. Räthe und solche deren Amt ein Universitäts-Studium verlangt           vacat.

b. Alle andere Beamte ohne weitere Unterschied                                  1

 

F. Ländliche Erwerbs-Verhältnisse.

Die Feldmark Dingelstädt’s enthält an nutzbaren Grundstücken, und zwar:

5 Magdeburger-Morgen Gärten

4005 1/3 dito Ackerland

6 dito Wiesen

568 dito Waldung.

Diese Grundstücke zerfallen in 37 Besitzungen von 30 bis 300 Magdeburger-Morgen, 159 Besitzungen von 5 bis 30 Magdeb.- Morgen, und in 415 Besitzungen unter 5 Magdeb.-Morgen.

 

Die Zahl der Personen, welche sich vom Landbau nähren, einschließlich der Frauen, Kinder, Dienstboten und Tachlöhner beträgt:

a. als Haupterwerb                     469

b. als Nebenerwerb                  1103

Personen, die selbstständig vom Handarbeit leben, als: Taglöhner, Holzhauer, Chaussee-Arbeiter, Nähterinnen und Wäscherinnen sind 104 männliche und 43 weibliche.

Gesinde  männliches 46, weibliches 104

Solches wird hiermit zur allgemeinen Kenntniß der Orts-Einwohner gebracht und zugleich hingewiesen, wie mannichfaltig die Erwerbs-Verhältnisse der Gemeinde sind.

Dingelstädt, den 23. Januar 1850.          Das Schulzenamt.

 

Quellen:  „Dingelstädter Wochenblatt“ Nr. 3 vom 19. Januar 1850 und „Dingelstädter Wochenblatt“ Nr. 5 vom 2. Februar 1850

Kreisarchiv Heiligenstadt, A-Bestand Dingelstädt, A 12, A 28, A 2536, A 2576

Karl Paul Haendly, Das kurmainzische Fürstentum Eichsfeld im Ablauf seiner Geschichte, seine Wirtschaft und seine Menschen 897-1933, Mecke, Duderstadt, 1996